Sonntag, 27. September 2009

Dubai


30. Januar 2009. Der Airbus setzte zur Landung an, schwebte ruhig auf den Internationalen Airport von Dubai zu. Es war kurz vor Mitternacht. Nach sieben Stunden Flug war ich war froh, am Ziel zu sein. Der Landeanflug über den Persischen Golf war immer wieder ein Erlebnis. Die Lichter unzähliger Skyscraper füllten den Horizont. Alles überragend der Burj Dubai, der Dubai-Turm. Längst war er das höchste Gebäude der Erde. Ein noch höherer Turm war geplant, der Nakheel-Tower, mit einer Höhe von mehr als 1.000 Meter, doch nun war ein Baustopp bekannt gegeben worden. Der Wahnsinn schien ein vorläufiges Ende zu nehmen, weil der Geldfluss infolge der Weltwirtschaftskrise unterbrochen war. Der Immobilienboom war praktisch zum Erliegen gekommen.
Mich erfüllte Genugtuung, wie ich sie zuvor nie erlebt hatte. Ich sollte in Dubai einige Scheiche treffen. Gestern hatte mich von dort ein Anruf erreicht. Es war der Präsident einer der größten internationalen Banken. „Sie wissen, was im Moment auf den Finanzmärkten los ist und wie es um die Entwicklung an den Börsen und unsere Energieversorgung steht. Immer mehr Finanzblasen platzen, all unsere politischen und wirtschaftlichen Systeme stehen weltweit vor dem Bankrott. Dazu kommen die Unsicherheit über die klimatischen Entwicklungen, die Überbevölkerung, Milliarden hungernde Menschen. Sie sehen auch das derzeitige Wetter, es widerspricht deutlich den Prognosen der Klimaforscher. 2008 war das kälteste Jahr des Jahrhunderts, wir sehen die Schneekatastrophen, die zurzeit über Nordamerika, Europa und Asien ziehen. Und 2009 zeigt sich eher noch kälter. Was in naher Zukunft auf uns zukommt, wird grauenvoll sein, das ist intern kein Geheimnis, doch niemand kennt eine Lösung. Ihrem Bericht entnehmen wir, dass Sie einen Weg kennen, die Menschheit vor einer Apokalypse zu bewahren. Wir laden Sie daher zu einem Gespräch ein.“ „Wo und wann?“, fragte ich kurz. „Sie fliegen nach Dubai. Wir haben bei Emirates Airlines in Frankfurt ein Ticket für Sie hinterlegt, für den Flug morgen Nachmittag. Wir erwarten Sie am Dienstag um 20Uhr im Hotel Atlantis, auf Palm Jumeirah, dort ist für Sie eine Suite reserviert.“ „Ich werde da sein“, sagte ich und legte auf. Ich lachte. Na endlich, hatte ja lange genug gedauert, bis sich einer von da oben gemeldet hat. Die Ölvorräte der Emirate gingen zur Neige, die Fördermengen waren seit 1994 um 60% gesunken. Die nachgewiesenen Reserven betrugen nur noch vier Millionen Barrel. Dubai verkaufte daher kein Öl mehr, man wollte es für die eigene Versorgung verwenden. Es gab in Dubai auch wenig Erdgas. Die Scheiche wollten aber mehr Gas und Öl, um wieder ins internationale Geschäft einzusteigen und ihre Immobilienprojekte notfalls auf eigene Rechnung durchzuziehen. Im Nachbarland Oman und in Katar hatte man große Gasvorkommen entdeckt.
Ich hatte den Scheichen überzeugend mitgeteilt, dass ich weiß, wo auch in Dubai weiteres Gas und Öl zu finden ist. Schon jetzt wirkte sich die weltweite Wirtschaftskrise auch auf den Immobilienmarkt in Dubai aus, der einstige Boom war ins Stocken geraten. Ähnliches vollzog sich in anderen Emiraten, in Moskau und Macao. Dubai brauchte Energie, um seine Pläne weiter zu führen. Moskau hatte Energie, dennoch machte die russische Gaszprom 2008 zwei Milliarden Verluste. Der Grund hierfür ist einfach: Sie bohren blind, wie die meisten anderen Länder, denn sie wissen nichts über den Ursprung von Gas und Öl.

Die Einladung kam mir gelegen, denn ich wollte ohnehin in die Emirate reisen. Sofort rief ich ein mir bekanntes Maklerbüro in Dubai an. Ich wurde mit einer freundlichen Dame verbunden, ihre Stimme war sehr angenehm.
„Sie sprechen mit Charon, was kann ich für Sie tun?“ Ich sagte meinen Namen. „Ich möchte einige Quadratkilometer Wüste pachten. Es muss dort nur eine Anbindung an das Autobahnnetz und elektrischen Strom geben.“ Sie lachte: „Das haben wir zurzeit nicht in unserem Angebot, aber ich bin sicher, bis morgen finde ich etwas. Hier in Dubai wird auch das Unmögliche möglich gemacht. Was haben Sie denn in der Wüste vor?“ „Ich möchte dort Eisenerz schürfen. Sie haben sicher schon gehört, dass den Baufirmen in den Emiraten permanent Stahl fehlt, und die Stahlpreise haben sich im letzten Jahr verdoppelt.“ „Das stimmt“, sagte sie, „aber wie wollen Sie in der Wüste Eisenerz finden?“ „Das verrate ich Ihnen, wenn Sie mich morgen in Dubai am Flughafen abholen.“ Nach kurzem Zögern sagte sie: „Okay, ich hole Sie ab. Wir sehen uns morgen. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Flug.“
Ihre Stimme blieb bei mir. Ich wusste nicht warum, aber ich spürte, diese Frau war etwas ganz Besonderes.


Der Airbus war sanft gelandet und rollte nun langsam zum Terminal. Nachdem ich die Zollkontrolle passiert hatte, erkannte ich Charon sofort inmitten vieler Menschen. Sie hatte langes dunkles Haar, war klein, schlank und unglaublich hübsch, ein wenig asiatisch. Ich musste sie unentwegt ansehen. Ich hatte das Gefühl, es ging ihr ähnlich. Ihre dunklen Augen blickten traurig, geheimnisvoll.
„Willkommen in Dubai“, sagte sie, „ich habe Sie sofort erkannt.“ „Mir ging es ebenso“, sagte ich lächelnd. Zwischen uns war vom ersten Moment an ein besonderes Gefühl. Wir machten uns auf den Weg ins Parkhaus. Ich war so aufgeregt wie ein kleines Kind und konnte es mir erklären. Diese Frau war voller leidenschaftlicher Spannung und ich konnte den erotischen Reiz spüren, den sie ausstrahlte.
Als wir in ihrem Cheyenne saßen, fragte ich: „Was hat Sie hier in die Wüste getrieben?“ „Ich habe in Berlin Astronomie und Philosophie studiert. Nach meinem Examen habe ich dann aber während meiner Dissertation alles hingeschmissen. Eigentlich hat man mich von der Uni vertrieben, weil ich eigene Gedanken entwickelte, an den Lehrbüchern und den Theorien meiner Professoren zweifelte. Ich verbrachte danach einige Jahre bei meinen Eltern in Thailand. Mein Vater ist Deutscher, meine Mutter Thailänderin. Dort schrieb ich weiter über die Welt, wie ich sie mir vorstelle, denn die der Wissenschaften, Religionen und des Kapitalismus gefällt mir nicht. Aber ich kam nicht richtig vorwärts, mir fehlten noch einige grundlegende Erkenntnisse“, erzählte sie mit einem steten Lächeln, „später wollte ich zurück nach Deutschland und machte hier in Dubai einen Zwischenstopp. Irgendein Gefühl trieb mich dazu, hier eine Weile zu bleiben, ich kann bis heute nicht erklären, warum. Dann bekam ich das Angebot einer Immobilienfirma. Der Job ist recht interessant, ich verdiene gut und lerne viele Leute kennen, aber ich bin dennoch mit meinem Leben nicht zufrieden“, argwöhnte die Hübsche, deren Augen mir in diesem Moment eine gewisse Traurigkeit nicht verbergen wollten. Ich war erstaunt. Diese Frau beschäftigte sich mit denselben Themen wie ich, und sie hatte eine ähnliche Verbundenheit mit Dubai. Daher konnte es kein Zufall sein, dass wir uns hier kennen lernten. Sie erzählte weiter: „Durch meine Arbeit bin ich schon viele Tausend Kilometer durch die Wüsten und Städte gefahren, habe gesehen, was hier entsteht. Ich habe mich mit Scheichen unterhalten, die haben mir erzählt, was sich wirklich in den Wüstenstaaten abspielt. Es findet hier eine unermessliche Ansammlung des Kapitals der Reichen aus aller Welt statt, sie sprechen von einer organisier-ten Flucht vor bevorstehenden irdischen Katastrophen. Die Scheiche wissen nicht, warum dies geschehen soll, aber sie sprechen von einer alten Weisheit ihrer Väter, die sagt: Die Angst des Menschen ist die Zeit. Sie sagen, dass wir vor dem Ende unserer Zeit stehen. Sie reden über Klimaveränderungen, einen bevorstehenden Kollaps der Kapital- und Energiemärkte und der meisten Regierungen. Darum etablieren die Superreichen sich und ihr Kapital in den Emiraten, wo die besten Chancen bestehen, noch eine Weile zu überleben, denn hier gibt es genügend Wärme und Energie. Ein alter Scheich erzählte mir, dass die Zinsen der Feind der Zeit seien, sie würden die Zeit und damit die Zukunft essen. Darum verbietet der Islam Zinsen zu nehmen.“ Diese Frau war unglaublich, was sie sagte, entsprach genau meinen Gedanken und Erkenntnissen. Es waren Themen, mit denen ich mich seit vielen Jahren beschäftigte. Ihre dringlichen Worte und ihr reizender Charme gefielen mir sehr.
„Charon, wollen wir uns duzen?“ „Danke David, sehr gerne. Ich schlage vor, wir fahren zu deinem Hotel. Da sind viele nette Bars, und wir können dort auch über das Wüstengrundstück reden. Während der Fahrt schaute ich mir die Skyscraper in den Straßen von Dubai an. Vieles hatte sich verändert, seitdem ich vor einem halben Jahr hier war. Charon fuhr sehr sicher durch die Stadt in Richtung Süden zum Hotel, vorbei am Burj Dubai, dem höchsten Gebäude der Erde. Als ich den Turm zuletzt sah, war er schon über 500 Meter hoch, noch im Rohbau, schon damals recht beeindruckend. Nun war das Monster über 700 Meter hoch, die Fassaden waren bereits mit glänzendem Aluminium verkleidet. Viele neue Wolkenkratzer ragten in den Himmel. Ein überwältigender Anblick.